Wenn der ‘starke Papa’ selbst wie ein Kleinkind reagiert

In den letzten Jahren wurden und werden in vielen Ländern rund um den Erdball autokratische Parteien oder Regierungen gewählt, z.B. Erdogan (Türkei), Orban (Ungarn), Bolsonaro (Brasilien), Dutarte (Philippinen), Milei (Argentinien), Wilders (Niederlande), Le Pen (Frankreich), Kickl (Österreich), Weidel (Deutschland), Trump (USA), … Erstaunlicherweise sind darunter auch Länder, die eine lange und gefestigte demokratische Tradition haben und vor nicht allzu langer Zeit im eigenen Land eine Diktatur erlebten. Wie ist das zu erklären?

Die Gründe sind in den einzelnen Ländern sicher unterschiedlich und es sind jeweils verschiedene Faktoren, die diese Entwicklung begünstigen. Stichworte sind Armut, ethnische Konflikte, Kriminalität, Migration/Überfremdung. Gemeinsam ist allen Faktoren: Angst. Angst vor Arbeitslosigkeit, vor Verarmung und sozialem Abstieg, vor dem Verlust der eigenen Kultur und Traditionen. Zusätzlich verunsichert das Tempo der gesellschaftlichen und beruflichen Veränderungen. Was bisher gültig war und Halt gab (zuweilen aber auch einengte), ist in Frage gestellt und nicht mehr sicher.

In dieser Situation erklärt eine führungsstarke Person, was die bisherige Regierung alles falsch gemacht hat. Sie verspricht, mit leicht verständlichen und schnell wirksamen Massnahmen ‘endlich aufzuräumen’ und die Missstände zu beseitigen. Diese Person erscheint als Retter in der Not und soll die Probleme lösen.  Psychologisch entspricht diese Erwartung der eines Kleinkindes, das erwartet, dass der ‘starke Papa’ oder die ‘starke Mama’ es richten sollen.

Die Bürger*innen der USA haben Donald Trump gewählt. Bei genauerem Hinschauen erinnern manche Entscheidungen von Trump an das Verhalten eines Kleinkindes:

  • ‘Ich will aber’
    Der Golf von Mexiko soll in Zukunft Golf von Amerika heissen, Kanada und Grönland sollen Bundesstaaten der USA werden, die Bewohner des Gaza-Streifens sollen zwangsweise umgesiedelt werden, … Es muss das gemacht werden, was Trump will – auch wenn das unrealistisch oder völkerrechtlich gar nicht möglich ist. Gesetze sind dabei nur relevant, wenn sie ihm nützen.
    In die gleiche Richtung geht die interne Anweisung bzw. Empfehlung, dass US-Bundesbehörden und staatlich finanzierte Institutionen (z.B. Ministerien, Förderprogramme) ca. 200 Begriffe nicht mehr verwenden sollen bzw. auf Websites gelöscht werden sollen. Dies gilt auch für wissenschaftliche Publikationen und offizielle Dokumente. Darunter sind auch häufig gebrauchte Alltagsbegriffe wie z.B. ‚Frauen‘ (women), ’saubere Energie‘, ‚Klimakrise‘, ‚Klimawissenschaft‘, ‚kulturelles Erbe‘, ‚Behinderung‘, ‚Feminismus‘, ‚Opfer‘, ’sexuelle Orientierung‘ …
    Ein solches Verhalten ist typisch für die sogenannte Trotzphase eines Kleinkindes.
  • Allmachtsphantasien
    In einer Phase der kleinkindlichen Entwicklung sind Allmachtsphantasien ganz normal. Das Kind ist überzeugt, alles bewirken zu können.
    Die bereits erwähnte ‚Integration‘ von Kanada und Grönland in die USA sowie Trumps Wahlversprechen, den Ukraine-Krieg innerhalb 24 Stunden zu beenden, können als solche Phantasie betrachtet werden.
  • Verzerrte Wahrnehmung
    In der ‘magischen Phase’ schafft sich das Kleinkind eine eigene Realität. Es spielt nicht nur Prinzessin oder König, sondern ist das in der eigenen Wahrnehmung selbst.
    Trump behauptet Dinge, die in keiner Weise der Realität entsprechen. Die Wahl wurde ihm ‘gestohlen’, zur Vereidigung zu seiner 1. Präsidentschaft sind ‘mehr Leute gekommen, als je zuvor’ – obwohl Fotos das Gegenteil beweisen. Allein aus der 1. Präsidentschaft gibt es Hunderte solche faktenfreien Behauptungen. Wird doch auf die Fakten hingewiesen, dann handelt es sich bei den Behauptungen schlicht um eine ‘alternative Wahrheit’.    
  • ‘Dich mag ich’ / ‘Dich mag ich nicht’
    Im Kontakt mit anderen Menschen oder ‘Gspänli’ haben Kleinkinder nur ein Kriterium: Sympathie. Im Spiel stellen Kinder eigene Regeln auf, die nur in diesem Moment gelten und laufend geändert werden können.
    Wohl jeder Präsident achtet bei der Auswahl seiner Kabinettsmitglieder und der Berufung enger Mitarbeiter*innen auf Loyalität. Ausserdem müssen sie die für Ihre Aufgabe erforderliche Kompetenz mitbringen. Auch das ist selbstverständlich.
    Donald Trump scheint bei der Besetzung von Regierungsstellen jedoch nur ein einziges Kriterium zu haben: Loyalität ihm gegenüber. Fachkompetenz scheint für ihn völlig nebensächlich zu sein. Und wer bereits in der Verwaltung arbeitet und nicht seiner Meinung ist, riskiert die Kündigung. Dies gilt sogar für Richter. Kritische Berichterstattung über ihn in den Medien bezeichnet er als ‘illegal’, Sendern werden die Zuschüsse massiv gekürzt und Hunderten Journalisten gekündigt. Universitäten, auch solchen, die zu den besten der Welt gehören, deren Studierende sich kritisch äussern, werden die Beiträge so stark gekürzt, dass Tausende Angestellte entlassen werden müssen.
    Vermutlich haben fast alle Staatenlenker ein starkes Selbstbewusstsein und sind von sich selbst eingenommen. Bei Donald Trump ist dieses Persönlichkeitsmerkmal besonders stark ausgeprägt. Fachleute attestieren ihm ein Mass an Narzissmus, das bereits als krankhaft gilt. Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Präsidenten anderer Länder gut beraten sind, im Kontakt mit Trump diese Tatsache zu berücksichtigen.
  • Sprunghaftigkeit / Unberechenbarkeit
    Kleinkinder können von einem Moment zum nächsten ihre Meinung und Stimmung ändern. Spielregeln können jederzeit, auch mitten im Spiel und nach dem Willen des Kindes geändert werden. Diesbezüglich sind sie unberechenbar.
    Manche Entscheide von Donald Trump wirken chaotisch. Man weiss nie und ist gespannt, was als nächstes kommt. Er wechselt z.B. im Wochenrhythmus die Zölle für bestimmte Länder oder Waren. Oder er lobt Personen in hohen Tönen – und ein paar Tage später entlässt er sie wegen Unfähigkeit. Möglicherweise setzt er dieses disruptive Verhalten als Strategie ein. Da man ihm alles zutrauen muss erreicht er rasch Dinge, die sonst nur in langwierigen Verhandlungen – und auch hier nur vielleicht – zu erreichen wären. 

Im Wahlkampf hatte Trump angekündigt, welche radikalen Massnahmen er in kürzester Zeit ergreifen wird. Inzwischen zeigen sich bereits Auswirkungen dieser Politik: Konsumentenpreise steigen, eine Rezession wird immer wahrscheinlicher, Millionen Amerikaner haben Angst um ihren Arbeitsplatz, die Aktienkurs fallen, andere Länder ergreifen Gegenmassnahmen, die ‘freundschaftlichen Beziehungen’ unter ‘verbündeten Staaten’ kühlen ab, das Vertrauen in die einzige westliche Grossmacht nimmt rapid ab, …

Vermutlich haben die meisten Amerikaner Donald Trump gewählt, damit sich ihre persönliche Situation verbessert, die Probleme gelöst werden und ihre Zukunftsangst abnimmt. Aus seiner 1. Präsidentschaft wusste man, wie er tickt. Jetzt sind viele Leute in den USA und dem Rest der Welt überrascht, dass ‘die Suppe tatsächlich so heiss gegessen wird, wie sie gekocht wurde’ und er das Angekündigte wirklich umsetzt. (Da gibt es ein Parallelen zu Hitler, der im Buch ‘Mein Kampf’ sein Programm beschrieben hat. Auch Hitler war vor seiner Wahl strafrechtlich verurteilt. Er sass sogar wegen eines Putschversuchs im Gefängnis.)

Am Rande zwei interessante Phänomene, die nicht nur in den USA zu beobachten sind:

  • Offensichtlich verfangen Angstparolen dann besonders gut, wenn man mit dem Thema keine persönliche Erfahrung hat: In Deutschland erhielt die AfD mit ihrer Forderung, die Migration drastisch zu begrenzen, besonders in jenen Bundesländern besonders viele Stimmen, in denen relativ wenige Migrant*innen leben.
  • Die Rolle der Bezahlmedien, Social Medias und Filterblasen: In den USA erhielt Trump in den Bundesstaaten, in denen es wenige Bezahlmedien (mit ausgebildeten Journalist*innen) gibt, überdurchschnittlich viele Stimmen.

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