Mehr Ethik – weniger Moral

Wenn in einem Kreuzworträtsel ein Begriff für ‚moralische Gesinnung‘ gesucht wird, dann wird meist nach ‚Ethik‘ gefragt. Diese beiden Begriffe werden oft als gleichbedeutend verwendet: wie man sich verhalten soll.
Und doch sind Ethik und Moral nicht das gleiche:

‘Moral’ leitet sich vom lateinischen Begriff ‘mores’ (Sitten) ab und meint, welches Verhalten in einer Gemeinschaft üblich ist und erwartet wird, was ‚man‘ tun oder doch besser lassen sollte. Oft spielen dabei Gebote der jeweiligen Religion eine grosse Rolle. Diese müssen eingehalten werden, weil sie von Gott oder sonst einer transzendenten Instanz aufgestellt wurden und man sonst ’sündigt‘.

Im Unterschied zur Moral ist Ethik eine philosophische Disziplin. Sie ist die Lehre vom guten und richtigen Handeln (bzw. Unterlassung einer Handlung) und lässt sich als “achtsames Wahrnehmen von Leben in all seinen Formen, kluges Urteilen und entsprechendes Handeln zum Wohle aller, Umwelt und Nachwelt eingeschlossen.“ (Niklaus Brantschen) umschreiben. Ihre Maximen stützen sich nicht auf irgendeine Offenbarung oder eingespielte Gewohnheiten, sondern müssen sich durch logisch-rationale Argumente begründen lassen. In der Ethik geht es um ‚richtig‘ oder ‚falsch‘, in der der Moral um ‚gut‘ oder ‚böse‘. Formuliert die Ethik eher theoretisch-abstrakte Handlungsmaxime, geht es in der Moral meist um recht konkrete Regeln.

Ein paar Beispiele verdeutlichen den Unterschied

  • Beziehungen
    Moral: z.B. Kein Sex vor der Ehe; keine Scheidung; Männer und Frauen sind nicht gleichberechtigt, der Mann entscheidet über Kleidung der Frau, ob sie Auto fahren oder das Haus verlassen darf, ob Mädchen eine Ausbildung machen dürfen.
    Ethik: z.B. verantwortlicher und einvernehmlicher Umgang mit der Sexualität; Eltern nehmen bei einer Trennung/Scheidung Rücksicht auf die Bedürfnisse ihrer Kinder; Männer und Frauen sind gleichberechtigt mit gleichen Rechten und Pflichten
  • Ernährung
    Moral: z.B. kein Schweinefleisch; Fastengebote; während des Ramadans zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang nicht essen oder trinken, nicht rauchen, kein Sex; koschere Ernährung (Fleisch bestimmter Tiere darf nicht gegessen werden; Tiere müssen auf eine bestimmte Art geschlachtet werden; Trennung von Fleisch- und Milchprodukten)
    Ethik: z.B. Einhaltung des Tierwohls; möglichst geringer Einsatz von Antibiotika/Pestiziden; existenzsichernde Bezahlung der Produzenten; faire Arbeitsbedingungen in der Lieferkette; Saisonalität und Umweltbelastung der Produkte
  • Sonntag / Sabbat
    Moral: z.B. am Sonntag soll die Werktags-Arbeit ruhen; gläubige Juden dürfen am Sabbat und religiösen Feiertagen weder kochen noch das Licht anschalten, keine elektrischen Geräte benutzen, keine Autos fahren oder Busse, Bahnen, Schiffe oder Flugzeuge benutzen.
    Ethik: z.B. auch in einer 24-Stunden-Gesellschaft faire Arbeitsbedingungen; Zeit für Erholung, Hobby, Freunde und Familie

Die Beispiele machen auch deutlich, dass heute viele moralische Gebote kaum oder nur von einer Minderheit eingehalten werden. (Allerdings wird in manchen Ländern versucht, durch drakonische Massnahmen die Einhaltung doch noch zu erzwingen.)

Ganz allgemein kann man sagen, wer ethische Grundsätze missachtet, schadet sich selbst oder anderen. Oder positiv formuliert: Ethisches Handeln (bzw. Unterlassung einer Handlung) fördert das Leben von mir, von anderen oder den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.

Da diese Maxime relativ abstrakt ist wird in Diskussionen um Ethik oft auf das obenstehende Zitat von Augustinus zurückgegriffen. Allerdings wird dabei Augustinus meist falsch zitiert. Aus “Dilige et quod vis fac“ (schätze hoch, und was du dann tun willst, das tu!) wurde “Ama et quod vis fac“ (liebe, und was du dann tun willst, das tu!). Für die meisten ist klar, was damit gemeint ist. Doch ‘lieben’ lässt viele Interpretationen zu. (Im Extremfall könnten z.B. Eltern eines schwerbehinderten Kindes ‘aus Liebe’ ihr Kind ‘vom Leiden erlösen’, indem sie es töten.)

Deshalb wurden für ethisches Handeln immer wieder eindeutigere Umschreibungen gesucht. Die bekannteste ist der sogenannte ‘Kategorische Imperativ’ von Immanuel Kant: „Handle so, dass dein Handeln jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten kann.“ Die eigene Freiheit endet also dort, wo das Recht eines anderen beginnt. Etwas verständlicher ausgedrückt: „Was du nicht willst, das man dir tu‘, das füg‘ auch keinem anderen zu.“

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