Ganzheitlich entscheiden
Ein Esel hat den ganzen Tag einen Karren gezogen und hat ordentlich Hunger bekommen. Er trottet gemütlich auf einem Weg dahin. Da sieht er links einen Heuhaufen. Der Duft lässt ihm das Wasser im Maul zusammenlaufen. In diesem Moment sieht er rechts neben dem Weg einen Haufen frischer Rüben. Auch die würde er gerne fressen. Nun weiss er nicht, was er machen soll. Er schaut immer wieder nach links, dann wieder nach rechts. Er kann sich einfach nicht entscheiden – und verhungert.
Mit dem Entscheiden ist es so eine Sache. Vielleicht haben Sie sich auch schon mal entschieden – gesünder zu essen, mehr Sport zu treiben, mit den Kindern mehr Geduld zu haben, … – doch schon kurz darauf sind die guten Vorsätze versandet und es läuft wie bisher weiter. Der Volksmund sagt dazu: Auch der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Dann gibt es Entscheidungen von grösserer Tragweite, die Auswirkungen auf den Alltag oder das private Umfeld haben werden. Soll ich eine längere Weiterbildung machen? Nicht nur die Arbeitsstelle, sondern gleich das Berufsfeld wechseln? Mich vom Partner/der Partnerin trennen?
Die Argumente dafür und dagegen haben Sie eventuell schon oft gegeneinander abgewogen. Vielleicht ist ihnen dabei sogar klar geworden, was ‚eigentlich‘ richtig wäre – und doch können Sie sich nicht entscheiden. Etwas in Ihnen sträubt sich und bremst.
Für eine tragfähige Entscheidung braucht es sowohl den ‚Kopf‘ als auch das ‚Bauchgefühl‘. Die Psychologin Maja Storch hat darauf hingewiesen, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Bewertungssysteme handelt, die verschieden ‘funktionieren’:
- Der ‘Kopf’ sucht nach logisch-rationalen Argumenten. Er wägt ab: Was spricht dafür und was dagegen? Das braucht Zeit. Er bewertet nach ‘richtig’ oder ‘falsch’. Der Vorteil: Hat man eine Sache mit dem Verstand durchdacht, kann man das Ergebnis dieser Bedachtsamkeit in klare Worte fassen.
- Das ‘Bauchgefühl’ bewertet nach ‘mag ich’ oder ‘mag ich nicht’. Blitzschnell zieht es dafür die bisherigen Erfahrungen, Vorlieben und Abneigungen der Person heran. Im Unterschied zum ‘Kopf’ kommt es ohne Worte aus und hat keine Argumente. Es äussert sich in einem mehr oder weniger klaren oder diffusen Gefühl.
Wenn es nicht ‘einverstanden’ ist, zeigt sich dies oft darin, dass wir nicht wissen, was wir sagen sollen. Umgekehrt zeigt es sein Einverständnis oft mit einem guten oder warmen Gefühl.
Häufig wird Leuten, die vor einer Entscheidung stehen, geraten, die Vor- und Nachteile aufzulisten. Wenn der ‘Bauch’ mit einer so getroffenen Entscheidung nicht ‘einverstanden’ ist und ständig vom ‘Kopf’ übersteuert werden muss, ist die Entscheidung meist nicht auf Dauer tragfähig.
Wenn Sie vor einer Entscheidung stehen und dabei neben dem Verstand auch Ihr Bauchgefühl berücksichtigen wollen, können Sie zum Beispiel folgendermassen vorgehen.
Vielleicht können jemanden bitten, Sie für die einzelnen Schritte anzuleiten. Dann können Sie sich leichter auf Ihr Gefühl konzentrieren:
1. Schritt: Sie geben jeder Alternative, die in Frage kommt, eine Überschrift.
z.B.: ‚gleiche Tätigkeit wie bisher, aber in einem anderen Unternehmen‘, ‚mich als …. selbständig machen‘, ‚im bisherigen Unternehmen, aber Pensum reduzieren‘, ‚weiter so wie bisher‘
Je konkreter und präziser Sie die Alternative formulieren, desto leichter können Sie sich später dafür oder dagegen entscheiden. Wenn Sie z.B. als Überschrift ‚neue Stelle suchen‘ wählen, dann ist unklar, ob Sie dort die gleiche Tätigkeit wie bisher ausüben oder lieber etwas anderes arbeiten wollen.
2. Schritt: Vor- und Nachteile abwägen und notieren
Zuerst tragen Sie die logisch-rationalen Argumente für jede Alternative zusammen.
- Nehmen Sie für jede der Alternativen 2 Blätter (mindestens DIN A3; je grösser die Blätter sind, desto besser). Wenn Sie 3 Alternativen haben brauchen Sie also 6 Blätter. Schreiben Sie (am besten mit einem dickeren Filzstift) auf jeweils 2 Blätter ziemlich gross die Überschrift einer Alternative.
- Nun gehen Sie nacheinander die einzelnen Alternativen durch. Legen Sie dazu die beiden Blätter einer Alternative vor sich hin.
- Auf das eine Blatt schreiben Sie in grosser Schrift alle Vorteile und alles Positive, das diese Alternative für Sie hat. Bleiben Sie dabei aber bei den Fakten. Möglicherweise wünschen Sie sich im neuen Unternehmen einen besseren Teamzusammenhalt oder einen verständnisvolleren Vorgesetzten. Ob das tatsächlich so ist, lässt sich im Moment nicht sagen. Möglichst konkret; z.B. ‚Büroarbeitszeiten‘, ‘Pensum ist auf 3 Tage aufgeteilt’, ‚ Aufgabengebiet interessiert mich‘, ‚mehr Verantwortung‘, ‚mehr Lohn‘, …
Die meisten Alternativen haben neben Vorteilen auch negative Aspekte. Und jede Veränderungen ist mit Unsicherheiten verbunden. Notieren Sie nun auf dem anderen Blatt alle Nachteile und Unsicherheiten, die diese Alternative mit sich bringt. Auch hier möglichst konkret.
Es ist wichtig, dass die Vor- und Nachteile nicht auf dem gleichen Blatt stehen!
3. Schritt: Was sagt Ihr Bauchgefühl zu jeder der Alternativen?
Nicht alles, was logisch-rational betrachtet gut, wünschenswert und sinnvoll ist, gefällt uns auch. Deshalb gehen Sie in diesem Schritt der Frage nach, welche der Alternativen Ihnen am besten gefallen würde, welche Sie anzieht, für welche Sie am meisten motiviert.
- Legen Sie dazu von allen Alternativen das Blatt mit den positiven Aspekten in einer Reihe nebeneinander vor sich hin – wenn Sie die Schrift im Stehen noch lesen können, am besten auf den Fussboden. Die Blätter mit den Vorteilen liegen nebeneinander in einer Reihe. Die Blätter mit den Nachteilen dem jeweiligen Vorteil-Blatt gegenüber. Das sieht dann etwa so aus:

- Stellen Sie sich jetzt so zwischen die Blätter, dass Sie auf die Vorteil-Blätter schauen. Um herauszufinden, welche Alternative Sie am meisten anspricht, stellen Sie sich am besten vor jedes Vorteil-Blatt und lassen es auf sich wirken. Welche Alternative fühlt sich am besten an? Bleiben Sie dann vor der Alternative stehen, die Ihnen am meisten zusagt. Wie geht es Ihnen, wenn Sie sich vorstellen, dass Sie sich für diese Alternative entscheiden?
4. Schritt: Sind Sie bereit, die Konsequenzen zu tragen?
Bisher haben Sie sich ganz auf die positiven Seiten der einzelnen Alternativen konzentriert. Nun geht es darum zu überprüfen, ob Sie bereit sind, die negativen Aspekte einer Alternative zu tragen.
- Wählen Sie dazu die Alternative aus, bei der es Ihnen am wohlsten ist, die Sie am meisten anspricht.
Lesen Sie nun für diese Alternative das Blatt mit den negativen Aspekten und Unsicherheiten durch und fragen sich: „Bin ich bereit diesen ‚Preis‘ (z.B. an Einarbeitungszeit, Geld, Unsicherheit, längerer Arbeitsweg, …) zu bezahlen?“
Und wenn das Ergebnis nicht eindeutig ist?
Möglicherweise ist das Ergebnis nicht eindeutig. Doch in der Regel lässt sich mit diesem Vorgehen die Auswahl auf zwei Alternativen reduzieren. Manchmal klärt sich – oder zeichnet sich zumindest eine Richtung ab – wenn Sie ein oder zwei Mal darüber ‘schlafen’.
Wenn nicht, dann braucht es noch einen 5. Schritt: Was ist klug? Angenehm? Sinnvoll? Was könnte im schlimmsten Fall passieren?
- Schauen Sie die Blätter mit den positiven und negativen Aspekten für die beiden Alternativen nochmals an. Gehen Sie jedes Argument, das dafür oder dagegen spricht, durch und fragen sich: „Wenn ich das mache,
- wäre das klug oder dumm? (rationale Beurteilung)
- wäre das angenehm oder unangenehm? (emotionale Bewertung)
- wäre das sinnvoll oder nicht sinnvoll? (Bewertung in Bezug auf einen übergeordneten Sinn)
- was könnte im schlimmsten Fall passieren? (worst-case) Könnte dann die Entscheidung rückgängig gemacht werden?
Manchmal klärt sich auf diese Weise, welche dieser ‚Preise‘ bewusst in Kauf genommen werden, um die Werte der Vorteile zu erhalten.
© nach einer Anregung von Rolf Kuhn • PERVIA Organisationsberatung
Bearbeitung durch Ludw. Martin