Braucht der Bundesrat eine neue Brille?
«Was wir heute tun, entscheidet, wie die Welt morgen aussieht.» Marie von Ebner-Eschenbach
„Nicht weil die Dinge unerreichbar sind, wagen wir sie nicht – weil wir sie nicht wagen, bleiben sie unerreichbar.“ Seneca, römischer Philosoph
Die Romands sagen ‘gouverner, c’est prévoir’, ‘regieren, das ist vorausschauen’, also analysieren, welche Entwicklungen wahrscheinlich sind, was vermutlich auf uns zukommt – und die entsprechenden Massnahmen treffen; versuchen, die weitere Entwicklung in eine gute Richtung zu lenken.
Eine der ‘Grossbaustellen’, die die Schweiz (gemeinsam mit allen anderen Ländern) hat, ist der übergrosse Verbrauch der natürlichen Ressourcen. Derzeit ist der ökologische Fussabdruck der Schweiz ca. dreimal so gross wie es die natürlichen Ressourcen eigentlich zulassen würden. Wir verbrauchen ein Mehrfaches dessen, was unser Planet ohne Schaden verkraftet. Wissenschaftliche Studien zeigen diese Tatsache eindrücklich auf und welche Massnahmen es jetzt bräuchte.
Dass wir über unseren Verhältnissen leben, wird kaum mehr bestritten. Ab und zu ist zu hören, dass die von der Wissenschaft aufgezeigten Szenarien ‘übertrieben’ und zu ‘negativ’ seien. Da sei viel Panik- und Angstmacherei dabei. (Nebenbei: Diese Argumente kommen mir bekannt vor. Vor ein paar Jahrzehnten waren sie bereits beim Thema Klimawandel zu hören. Inzwischen hat sich bei vielen Faktoren gezeigt, dass die Entwicklung schneller und negativer eintrat als die Szenarien damals annahmen.)
Eigentlich ist klar, welche Massnahmen es jetzt bräuchte. Unbestritten ist, dass diese nicht nur teuer sind, sondern auch deutlich in unser Alltagsleben eingreifen würden: z.B. hinsichtlich Mobilität, Ernährung, Kauf und Entsorgung von kurzlebigen Billigwaren, …
Auch der Bundesrat ist der Meinung, dass unser derzeitiger Konsum- und Lebensstil unserem Planeten schadet. Doch die im Rahmen des Netto-Null-Ziels im Jahr 2050 beschlossenen Massnahmen bei den CO2-Emissionen seien ausreichend. Wissenschaftler und (kleine) Teile der Bevölkerung weisen darauf hin, dass diese Massnahmen nicht genügen und fordern ein rascheres und wirksameres Vorgehen. Der Bundesrat lehnt dies ab. Diese Massnahmen seien viel zu teuer, sie seien zu einschneidend, als dass sie sich durchsetzen lassen und sie wären für die Wirtschaft zu schädlich.
Komisch! Bisher ging ich immer davon aus, dass Prävention und ein möglichst frühes Eingreifen billiger ist als ein Abwarten bis die Schäden grösser sind. Oder haben Sie schon mal gehört, dass ein Arzt seinem ernsthaft erkrankten Patienten sagte: «Diese Therapie würde Ihnen sicher helfen, doch sie ist sehr teuer und würde zu sehr in Ihre Lebensgewohnheiten eingreifen. Wir warten lieber, bis die Symptome deutlicher sind.» – Vielleicht ist ja bei der Umwelt alles ganz anders.
Schon gar nicht hoffe ich, dass der Bundesrat im Umweltbereich zu der Einschätzung kommt, die einige Zentralschweizer Finanzdirektoren zu den Klimaveränderungen haben. Vor ein paar Tagen weisen sie in einem Papier darauf hin, dass der Klimawandel eine Tatsache ist und sich auch «mit teuren Staatseingriffen nicht aus der Welt schaffen» lasse. Deshalb plädieren sie für weniger Subventionen in der Klima- und Energiepolitik.
Den Entscheid des Bundesrats finde ich kurzsichtig. Gut möglich, dass er eine neue Brille braucht.