Konstruktiv streiten
„Wenn zwei Menschen immer dasselbe denken und gleicher Meinung sind, ist einer von beiden überflüssig.“ Winston Churchill zugeschrieben

Der Volksmund sagt: «Streiten verbindet». Vermutlich empfinden die wenigsten Personen, die gerade miteinander einen Konflikt haben, dabei das Verbindende. Immerhin ist der Konflikt Ausdruck dafür, dass es beiden Seiten um etwas wichtiges geht. Denn sonst würden sie sich nicht auch emotional engagieren.
Wir Menschen wollen es miteinander gut haben, ganz besonders in einer Paarbeziehung. Natürlich. Was denn sonst. Wir wünschen uns, dass die/der andere mich versteht und unterstützt, mir ihre/seine Zuneigung zeigt, grundlegende Werte und Grundhaltung mit mir teilt… Viele wünschen sich eine harmonische, vielleicht sogar romantische Beziehung.
Studien zeigen, dass auch Paare, die es miteinander guthaben, streiten – manchmal sogar oft. Entscheidend ist nicht, wie oft sie streiten, sondern dass sie einander deutlich öfter Zeichen der Zuneigung und Wertschätzung geben.
Doch bei aller Gemeinsamkeit und Verbundenheit bleiben wir eigenständige Personen mit eigenen Vorstellungen, Wünschen und Bedürfnissen. Eine Paarbeziehung profitiert von dieser Verschiedenheit. Wir ergänzen uns: Was der eine nicht so gut kann, kann die andere besser. Unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen führen meist zu tragfähigeren Lösungen. Was sie nicht so gerne macht, macht ihm vielleicht sogar Freude.
Die Verschiedenheit der Beiden macht eine Paarbeziehung spannend – im doppelten Sinn des Wortes. Sie bringt einerseits Neues, Interessantes und ‚Würze‘ in die Beziehung, führt aber anderseits auch zu Spannungen, Meinungsverschiedenheiten und Konflikten.
Die meisten Meinungsverschiedenheiten lassen sich relativ einfach bereinigen. Oft hilft es bereits, wenn sich beide bewusst machen, dass in einem Streit meist beide Seiten – zumindest ein bisschen – recht zu haben. Man sagt der/dem Anderen, was einen ärgert oder was man anders machen würde. Der /die Andere weiss dann zumindest, was das eigene Verhalten beim Gegenüber auslöst, ist aber immer noch frei, das eigene Verhalten zu ändern.
Gar nicht so selten wirkt ein guter Streit – wenn es nicht nur darum geht, dem Gegenüber Vorwürfe zu machen und selbst Recht zu behalten – wie ein reinigendes Gewitter. Das, was sich vielleicht über längere Zeit angestaut und aufgeladen hat, konnte geklärt werden und die ‘Luft’ ist wieder sauber.
Dann gibt es aber auch Verhaltensweisen, die die/den Anderen massiv stören oder gar verletzen. Solche Konflikte lassen sich nicht einfach nebenbei klären. Für so eine Auseinandersetzung muss sich das Paar zusammensetzen. Weil meist dabei starke Emotionen im Spiel sind, kann es dann leicht zu einem heftigen ‚Gewitter‘ mit gegenseitigen Vorwürfen kommen. Deshalb ist es gut, wenn sich die beiden für ein solches Gespräch explizit Zeit reservieren – möglichst nicht gerade unmittelbar nach einer emotionalen Auseinandersetzung, wenn beide noch ‚in Fahrt‘ sind und ‘Feuer unterm Dach’ ist. Damit ein solches Gespräch, dem es eben um ’schwierige‘ und emotionale Themen geht, nicht ‘aus dem Ruder’ läuft, ist es ratsam, sich am Beginn, noch bevor es um die Inhalte geht, auf ein paar Regeln zu einigen.
Eine Voraussetzung für einen konstruktiven Streit gibt es allerdings: Beide Seiten wollen eine gute Lösung.
Spielregeln für einen produktiven Streit
- Das Gespräch soll ein Dialog sein, d.h. jede ‘Partei’ versucht wirklich zu verstehen, was die andere sagen will. Dazu setzen sich die beiden gegenüber, am besten ohne einen Tisch dazwischen. Wenn ein Tisch dazwischen ist, sollte auf diesem nichts sein, was ablenken könnte oder nicht zum ‚Thema‘ gehört.
- Eine Person beginnt zu reden. Hilfreich ist, wenn sie dabei auf Vorwürfe und Verallgemeinerungen verzichtet und möglichst an konkreten Situationen beschreibt, welches Verhalten des anderen sie stört oder ärgert. Also z.B. eher „Mich stört, dass du oft nach dem Abendessen Fernsehen schaust und ich allein das Geschirr abwaschen muss“ oder: „Ich ärgere mich, wenn du die schmutzige Wäsche einfach im Badezimmer liegen lässt, statt sie in den Wäschekorb zu werfen“ statt „Du bist immer rücksichtslos (oder schlampig)“
Solange die Person am Reden ist, hört die andere Person nur zu und darf die Redende nicht unterbrechen und auch keine Bemerkungen/Erklärungen zum Gesagten machen. Wenn die zuhörende Person nicht sicher ist, ob sie etwas richtig verstanden hat, kann sie am Ende, wenn die andere Person zu reden aufgehört hat, nachfragen. „Habe ich dich richtig verstanden, dass …?“ - Wenn die Person gesagt hat, was sie sagen will, ist die andere Person an der Reihe. Doch bevor sie sagt, was sie sagen will, wiederholt sie inhaltlich, was die erste Person soeben gesagt hat. Z.B. „Dir ist wichtig, dass …“ oder „Ich habe verstanden, dass …“ Nach dieser Zusammenfassung bestätigt die erste Person, dass die Zusammenfassung inhaltlich stimmt oder ergänzt, was in der Zusammenfassung fehlte. Sie darf aber kein neues Thema anfangen oder inhaltliche Erweiterungen bringen.
Um die Aussage des Gegenübers wiederholen zu können muss man zuhören und kann nicht schon die eigene Antwort oder Gegenargumente überlegen. Durch die Wiederholung fühlt sich das Gegenüber eher verstanden und allfällige Missverständnisse können geklärt werden. Nicht zuletzt nimmt dieses Prozedere aus dem Gespräch Tempo heraus.
Nach der Zusammenfassung sagt nun die zweite Person das, was sie sagen möchte, und darf dabei von der ersten Person nicht unterbrochen werden. - So geht das hin und her. Der eine Partner kann jeweils seine Sichtweise mitteilen, ohne dass er unterbrochen wird. Bevor dann der andere Partner seine Meinung sagt, fasst er die Aussage des ersten Partners inhaltlich zusammen.
- Manche Konfliktgespräche sind sehr emotional und ein – oder beide – Partner möchte heftig reagieren. Bevor das Gespräch zu einem handfesten Streit eskaliert, kann zusätzlich folgendes Element eingefügt werden: Bevor ein Partner antwortet, muss er nach der Zusammenfassung im Zimmer eine kleine Runde – z.B. um den Tisch oder zur Küche und zurück – drehen.
Mit dieser Ergänzung durch die ‘Runde’ kommt noch die körperliche Bewegung dazu. Das nimmt etwas Energie aus dem Gespräch und beruhigt die Situation. Ausserdem ist das Laufen um einen Tisch so künstlich und komisch, dass es meist schon fast lustig wirkt. Gar nicht so selten müssen beide Partner ein wenig lachen – und das entspannt die Situation zusätzlich.
Idealerweise einigen sich die beiden noch vor Gesprächsbeginn darauf, dass wenn eine/r der beiden diese Ergänzung wünscht, diese in Kraft tritt. Sie gilt dann für beide Partner. - Das Gespräch wird dann beendet, wenn beide Seiten dem zustimmen.