Existiert Gott?
„Götter sind uns nützlich, und da es nützt, wollen wir glauben, dass es sie gibt “ Ovid, römischer Dichter, in ‚ars amandi‘
Bertolt Brecht schreibt in seinen ‚Geschichten vom Herrn Keuner‘ :
„Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe.
Herr K. sagte: „Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde.
Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen.
Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.“
Gibt es Gott? Mit der Antwort auf diese Frage könnten wir es uns leicht machen. Denn wir wissen es schlicht und einfach nicht. Die Existenz Gottes lässt sich weder schlüssig beweisen noch widerlegen.
Das Argument, dass Gott nicht existiere, weil seine Existenz sich nicht wissenschaftliche beweisen lasse, greift meiner Meinung nach zu kurz. Denn schon viel ‘alltäglichere’ Dinge lassen sich nicht wissenschaftlich beweisen und existieren doch. Zum Beispiel: Warum verliebt sich jemand ausgerechnet in die Michelle und nicht in die Evi oder sonst eine andere Person?
Meiner Meinung nach gibt es gute Gründe für die Annahme, dass Gott nicht existiert.
Eine Grundannahme des wissenschaftlichen Denkens ist, dass man zur Erklärung eines Phänomens nicht mehr Dinge oder Hypothesen heranziehen soll, als dafür notwendig sind. – Bereits in der Natur lässt sich dies beobachten. Diese ist zwar sehr verschwenderisch, wenn es um’s Überleben einer Art geht (z.B. die Spermien oder die Abermillionen Löwenzahl-Schirmchen, die sich jedes Jahr im Frühjahr an neue Standorte tragen lassen). Doch zugleich ist die Natur äusserst ökonomisch und baut nur das auf, was tatsächlich gebraucht wird (z.B. Nervenverbindungen im Gehirn). Und was nicht (mehr) in Gebrauch ist wird in kurzer Zeit abgebaut (z.B. Muskeln). Biologisch betrachtet ist der Mensch ein Tier. Warum soll es ausgerechnet für ihn – und nur für ihn – ein Weiterleben nach dem Tod geben?
Ich habe mich gefragt, warum so viele Menschen durch all die Jahrtausende an einen Gott, eine höhere Macht, ein ewiges Leben oder die Wiedergeburt glauben.
Zum einen fällt uns die Vorstellung, dass mit dem Tod es endgültig aus sein soll, sehr schwer. Am Sarg oder der Urne eines geliebten Menschen wird uns schmerzlich bewusst, dass wir dieser Person nichts mehr sagen und ihr keine Fragen mehr stellen können. Da wäre es sehr schön, wenn es doch noch ein Wiedersehen geben würde. Dieser Wunsch ist naheliegend und gut zu verstehen.
Zum anderen ist der Glaube an einen Gott und ein ewiges Leben Ausdruck der Hoffnung, dass all das Leidvolle und Schicksalhafte unseres Lebens doch noch einen Sinn hat und nach unserem Tod doch noch eine (ausgleichende) Gerechtigkeit stattfindet. Wenn wir schon die Welt nicht besser machen können und ein Schicksal nicht abwenden können – dann soll das wenigstens der ‚Wille Gottes‘ sein, der uns liebt und schon wissen wird, warum das für uns gut ist. Und wenn es auf dieser Welt nicht immer gerecht zu und her geht, dann soll diese Ungerechtigkeit in einem Jenseits oder einer nächsten Wiedergeburt ausgeglichen werden.
Solche Wünsche und Gedanken sind gut nachvollziehbar. Sie dämpfen die Zumutungen des Lebens ab, geben die Verantwortung dafür einer anderen Instanz ab, machen Schmerzen erträglicher und (ver)trösten auf eine bessere Zukunft. – Derartige Gedanken erscheinen mir wie ein Gips bei einem gebrochenen Bein: als Hilfe, die wir dankbar zur Überbrückung einer schwierigen Situation annehmen. – Doch warum soll es ‚normal‘ sein, mit einem Gipsbein herumzulaufen? Oder ein Vergleich aus der Psychologie: In manchen Situationen ist es eine grosse Hilfe, besonders schmerzhafte Erlebnisse vorübergehend auszublenden und zu ‚verdrängen‘. Doch es bleiben Verdrängungen und entsprechen nicht der Realität.
Der Verweis auf Gott und ein Jenseits ist nicht notwendig. Die fundamentalen Werte, für die die Religionen seit Jahrhunderten einstehen (siehe ‚Das Gemeinsame der Religionen‘), brauchen keine transzendente Begründung. Sie sind aus sich selbst sinnvoll und nachvollziehbar – weil sie ein Leben im Einklang von Natur und Umwelt und ein Zusammenleben in Frieden und Sicherheit fördern.
Ich kann mich dem Schweizer Maler Hans Erni anschliessen, der in einem Interview gesagt hat:
„Die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, ist eine Glaubenssache. Dazu kann kein Mensch etwas Zuverlässiges sagen. Deshalb meine ich: Egal, was nachher kommt, sollten wir von der Geburt bis zum Tod möglichst viele unserer Ideen verwirklichen und uns für Frieden und menschenwürdiges Leben einsetzen. Und uns dabei immer wieder erinnern, dass wir ein Teil eines grösseren evolutionären Prozesses sind.“ (Neue Luzerner Zeitung, 2.7.2010)
Bemerkenswert ist, dass auf der ganzen Erde, in allen Ländern und unterschiedlichen Kulturen Menschen religiös sind, ihren Glauben praktizieren und ihr Leben entsprechend ausrichten. Ganz offensichtlich suchen wir Menschen Antworten auf so grundlegende Fragen wie: Was macht mich glücklich und zufrieden? Was schenkt meinem Leben Sinn und Erfüllung? Wie sieht eine gute Welt aus, in der ich und die anderen gerne leben? Wie gehen wir mit Fehlern, Schuld und Versagen um? Was steckt hinter Schicksalsschlägen und den kleinen oder grossen Ungerechtigkeiten, die einem begegnen? Wie hängt diese alles zusammen? Gibt es dahinter eine grössere Macht? Wie muss ich mich verhalten, dass es ‚gut kommt‘? – Auf diese und ähnliche Fragen versuchen die Religionen Antworten zu geben. Früheren Generationen war es gar nicht möglich die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge zu erkennen. Sie erlebten z.B. Überschwemmungen, Dürreperioden, Missernten, Krankheiten, … und stellten sich die naheliegende Frage, ob da eine ordnende oder strafende Macht dahintersteht, die ein ‚gutes‘ und ‚richtiges‘ Verhalten fordert.
Es gibt nichts zu beschönigen: Im Namen der Religionen wurden und werden noch immer unzählige Kriege geführt, Menschen klein und unselbständig gehalten und Schuldgefühle geschürt. Religionen haben selbst Unrecht begangen und bei anderen geduldet oder sogar gefördert.
Doch haben Religionen auch sehr viel Grosses und Gutes geleistet. Es ist beeindruckend, wie viele kreative und positiven Kräfte aus religiösen Überzeugungen freigesetzt wurden und noch immer werden: in der Musik, in der Architektur, durch die Urbarmachung ganzer Landstriche, im kulturellen Bereich und die Archivierung alter Schriften, durch Klosterschulen in der Bildung, in Spitälern und der Entwicklungszusammenarbeit. Und wie viel Unterstützung, Nachbarschaftshilfe und Fürsorge wurde und wird von Menschen aus religiöser Überzeugung geleistet?
Das Phänomen Religion ist nicht einfach schwarz oder weiss, gut oder schlecht. In meinen Augen geht es darum, sich von magischen, teilweise recht kindlich anmutenden, religiösen Vorstellungen zu lösen, ohne das Kind mit dem Bad auszuschütten und damit gleich auch all die positiven Wirkungen von Religionen aufzugeben. Die Welt würde dadurch ärmer. Etwas plakativ ausgedrückt: Es braucht weniger Moral und mehr Ethik.